Künstlerische Entwicklung (1. Phase)

        Alle Texte: Renate Friedländer, Kunsthistorikerin
 

Friedrich Könekamp war eine faszinierende, vielschichtige Persönlichkeit. Sein außergewöhnlicher Lebensweg und seine Wirkung als Maler und Pädagoge dürften heute nur wenigen bekannt sein. Seine künstlerische Entwicklung war wesentlich bedingt durch sein bewegtes Leben.
Als 19jähriger Freiwilliger wurde er 1916 in der Somme-Schlacht verwundet und geriet zwei Jahre in englische Gefangenschaft. Nach dem Krieg studierte er in Freiburg, Basel und Berlin und promovierte in Mathematik und Philosophie. In den zwanziger Jahren war er ein leidenschaftlich engagierter Sozialist. Er wandte sich vom Christentum ab (er war als Katholik geboren).
Als begabter Pädagoge wurde er Mitglied des von Paul Östreich 1919 gegründeten „Bund entschiedener Schulreformer“.
Könekamp, der Zeit seines Lebens nie „ein Blatt vor den Mund nahm“, protestierte in aller Öffentlichkeit gegen das nationalsozialistische Regime, wurde von der Gestapo verfolgt und musste bereits 1933 fliehen und ins Exil gehen. Dies brachte eine entscheidende Wende in seinem Leben.
Herausgeworfen aus seiner beruflichen Laufbahn als Mathematiker und Pädagoge in Deutschland, wandte sich Könekamp intensiv der Malerei und Schriftstellerei zu. Sein Weg führte ihn zunächst in
die Schweiz, dann nach Spanien, Portugal, Marokko und schließlich nach England, wo er sich 1935 endgültig niederließ. Sein erstes Buch „Kö fahrt nach Afrika“ erschien 1934 in der Schweiz (Frenz Verlag, Bern). Er lebte eine zeitlang in der Künstlerkolonie in Ascona. Es entstanden erste kleinformatige Ölbilder.
Die künstlerische Entwicklung von Könekamps Malerei lässt sich in vier Schaffensperioden gliedern.
Die erste Phase umfasst die Zeit vom Anfang seines Exils bis zur Niederlassung in „Cotllwyd“, Pembrokeshire, Wales von ca. 1933 bis 1948. Das Bild „Das Haus des Don Philipe“, 1935 entstanden, ist das älteste, uns bekannte, noch erhaltene Gemälde.
Diese Jahre brachten für ihn eine radikale Rückkehr zur Kirche, was sich in seiner Autobiographie „Viele reden – einer ruft“ niederschlug (erschienen 1936 im Benziger Verlag, Einsiedeln, Schweiz). Sein tiefer Glaube als Christ hat ihn nie wieder verlassen und prägte ihn fortan als Mensch und Künstler.
Gerade begann er in England einige Anerkennung in der Kunstszene zu finden, als er

als nichtjüdischer Deutscher im Jahr 1940 fünf Jahre in Kanada interniert wurde. Zu den wenigen, noch vorhandenen, Bildern aus dieser Zeit stammen „Where hunger dwells“ (Hunger) und das „Selbstbildnis“ von 1942, die von der verheerenden Wirkung zeugen, die der 2. Weltkrieg auf die seelische Verfassung des Künstlers hatte. Als Könekamp 1945 nach England zurückkehrte, musste er wieder von vorne beginnen.

Die Begegnung mit Rosamond Jevons 1948 bedeutete für Könekamp einen neuen, schöpferischen Lebensabschnitt. Sie war Ökonomin und Enkelin des bekannten englischen

Könekamp bei der Arbeit
in Llan Druidion, Wales, um 1970

Philosophen und Nationalökonomen William Stanley Jevons. Bei Friedrich Könekamp hatte sie begonnen zu malen. Sie wurde seine Frau, und zusammen bauten sie eine kleine Bergfarm „Cotllwyd“ auf, an der felsigen Westküste von Pembrokeshire gelegen. In dieser rauen, mit Felsen übersäten Landschaft, 40 Meter über der Irischen See, wo die Bevölkerung bis heute noch die keltische Sprache spricht, fand er endlich Ruhe. Hier, dank Rosamonds selbstloser, ruhiger, kluger Persönlichkeit, konnten sich seine schöpferischen Kräfte endlich ungestört entfalten. Die Arbeit auf dem Feld und mit den Tieren (Shetland ponies, Ziegen, Schweine, Hühner) ergänzte seine kreative Tätigkeit. „Maler und Bauer – das passt zusammen“, sagte er. Es folgten die schöpferischsten zwanzig Jahre seiner Schaffenszeit als Maler.




         Könekamps Malerei der 1950er Jahre (2. Phase)

 

 

 
1970


Obwohl er als Maler Autodidakt war, hat Könekamps Werk seine Wurzeln im deutschen Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts. Doch in „Cotllwyd“ erfuhr seine Malerei eine eigene, entscheidende Entwicklung, geprägt von seiner Waliser Umgebung, die seinen expressionistischen Bildern ihren unverwechselbaren Charakter gab.
In kräftig bewegten Pinselstrichen malt Könekamp die stacheligen, knorrigen Ginstersträucher; die massiven, mit Flechten bunt überwachsenen Felsblöcke; den starken Rhythmus der umgebenden, steinigen Hügellandschaft; den sandigen Strand mit seinen angeschwemmten Muscheln, Tierschädeln,
Treibholz, Seetang; die Bergponies und Ziegen; die graublauen Steinwälle und kleinen, weiß getünchten „cottages“ (Häuschen) der Bergbauern. Die ganze karge und dennoch in Formen und Farben so unendlich reichhaltige Küsten- und Berglandschaft spiegelt sich in Könekamps Bildern der 1950’er Jahre wider.
Dass schon der alt-keltischen Bevölkerung diese Berge als heiliges Gebiet galten, bezeugen die vielen Hügelgräber, Steinkreise und Hühnensteine. Solche geheimnisvollen Menhire – hochragende, mit Moos und Flechten überwucherte, aufrecht stehende Steinblöcke,
die von den Druiden vor mehreren tausend Jahren errichtet wurden – verwandeln sich in Könekamps Bildern in einen mit seltsamen Hieroglyphen gezeichneten „Totem“ oder in unheimliche Hexenwesen. Ob Fels, Teibholz oder Stilleben – alles gewinnt unter seinem Pinsel ein mysteriöses Eigenleben.




Die 1960’er Jahre (3. Phase)

 

Waren die Motive aus der umgebenden Natur in den 1950’er Jahren noch deutlich erkennbar, so wurden Könekamps Bilder in den 1960’er Jahren zunehmend abstrakt in Form und Thematik. Zum Beispiel „Geburt“ (1962). Im Mittelpunkt eine ovale Form, Symbol jeglicher Geburt, in dem man das Kind im Mutterleib, das Ei, das Werden eines Gedankens, die Schöpfung schlechthin erblicken kann. Ein abstraktes Zeichen, das Universelles darstellen will. So entwickelte Könekamp einen abstrakten Expressionismus. In Form und Farbe suchte er den zeitgenössischen Ideen und Geschehnissen Gestalt zu geben, so wie er sie als Mathematiker, Philosoph und Christ verstand.
Durch die Schriften Teilhard de Chardins (dem Jesuiten und Paläontologen) eröffneten sich ihm neue Perspektiven der Schöpfung, die er so liebte. 1962, als Teilhards Werke heftig diskutiert wurden, entstanden die Bilder „Evolution I“ und „Evolution II“. Gleichzeitig fesselten die Entdeckungen der Naturwissenschaft und Technik sein Interesse, vor allem – seitdem Juri Gargarin 1961 als erster Astronaut die Erde umkreiste – die Raumfahrt. Könekamp war fasziniert von dem Vordringen des Menschen in das Weltall einerseits und andererseits in die Welt der Atome und Moleküle, ohne jedoch das Bedrohliche dabei zu übersehen. Bilder wie „Atomare Schalttafel“ und „Spinnengewebe der Automation“ geben davon Zeugnis.
Christliche Bildinhalte sind selten als solche vordergründig offensichtlich. Dennoch sah der Maler die Natur und das Weltall stets als Schöpfung Gottes. Die wenigen, eigentlich biblischen und christlichen Bildinhalte wie zum Beispiel „Im Anfang“ und „Das erwählte Holz“ werden stark abstrahiert. Besonders eindrucksvoll ist „Das erwählte Holz“, eine
purpurrote Kreuzesform aus sich überschneidenden, dunklen Linien, schräg über die Bildfläche emporsteigend, die Querarme nach oben gerichtet, wie die eines Gekreuzigten. Hinter dem Kreuz, in hellem Ocker und Gold, bricht bereits das Osterlicht der Auferstehung hervor.
Außerdem malte Könekamp naiv-freudige Blumenbilder, ließ sich inspirieren von der Harmonie klassischer Musik oder den ekstatischen Bewegungen südländischer Tänze, wie in dem Bild „Rhythmus der Provence“ (1964). Alles, was er schuf,

 

spiegelt sein JA zum Leben, seine Freude an der Schöpfung wider.In Könekamps Werken fällt die außergewöhnlich reiche Farbigkeit auf, die sich über die ganze Bildoberfläche in immer wieder changierenden und differenzierten Nuancen verteilt. In den Bildern der 1950’er Jahre geben bewegte Pinselstriche den dichten Farbkompositionen ihren starken linearen Rhythmus. Kaum eine Farbfläche bleibt bestehen, ohne dass sie hundertfach von winzigen Punkten, Strichen und Flecken anderer Farben unterbrochen und aufgelockert wird. Könekamps Farben schillern und flackern, bunt und doch niemals grell. Die

Könekamp bei einem Vortrag
über "Abstrakte Kunst als Hinführung zur Meditation in der Bildungsstätte des Johannesbundes,
Leutesdorf am Rhein, im Mai 1972

Farbskala, die in den 1950’er Jahren noch von den erdfarbenen Tönen bestimmt war, wurde immer brillanter, bedingt durch den zunehmenden Gebrauch von fließenden Lackfarben. In den abstrakten Werken der 1960’er Jahre erstrahlt die Bildfläche zuweilen mit der Leuchtkraft von Glasmalereien. Farbe und die Bewegung der Linien geben den Bildern Könekamps ihre innere Dynamik.
W
ährend der zwei Jahrzehnte in „Cotllwyd“ sammelte Könekamp eine Gruppe von Künstlern und Schülern um sich, die regelmäßig in seinem Atelier arbeiteten, gemeinsam Auslandsreisen unternahmen und zusammen ausstellten. Wiederholt reiste Könekamp nach Deutschland.




Die 4. Phase – 1970’er Jahre


1974 kehrte Könekamp nach Deutschland zurück und ließ sich in Neuwied nieder, wo er fast bis zuletzt malte. Diese letzte Phase seiner Kunst, die 1970’er Jahre, die technisch öfter Schwächen und nachlassende Kräfte verrät, zeigte jedoch thematisch, wie sehr Könekamp bis zuletzt ein Mann seiner Zeit blieb, der manches vorausahnte, was erst heute allgemein anerkannt wird. Lange, bevor es im Parlament die „Grünen“ und die öffentliche Diskussion über die Gefährdung der Umwelt gab, stellte er deren Bedrohung durch die wirtschaftliche Nutzung der Atomkraft in dem Bild „Gespenster über dem Rhein“ dar (gemeint war der Atommeiler Mülheim-Kärlich auf dem gegenüberliegenden Rheinufer). Er kämpfte mit seiner Kunst und seinen Vorträgen gegen den wachsenden Materialismus. Die Dimension des Geistes – er nannte sie die „fünfte Dimension“ – war für ihn
die wesentliche Verkündigung, der


 

 



Zeichnung von Renate Friedländer
zum Totenzettel Friedrich Könekamps

  

 

er immer wieder erneut versuchte, in seinen Werken Gestalt zu verleihen, und um deren Durchbruch er bei sich selbst und anderen rang. Seine geistige Vitalität blieb ihm bis zum Ende erhalten.
Bis zuletzt blieb er auch ein begeisterter Pädagoge und ein Rebell gegen alles Kleinkarierte, das den Menschen ihre kreativen Fähigkeiten, ihren schöpferischen Atem, raubt. Wie ehemals in Wales, sammelte er auch im Rheinland junge Maler, Freunde und Schüler um sich, denen er Mut machte, ihre eigenen Wege zu finden und zu gehen.
Friedrich Könekamps Malerei ist in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts schwer einzuordnen. Wenn auch seine Werke aus den Wurzeln des Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts genährt wurden und später Affinitäten mit dem abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit aufweisen, so bleibt Könekamp - unverwechselbar originell wie er ist – in der modernen Kunstszene ein Einzelgänger.
In seiner Wahlheimat Großbritannien befinden sich viele seiner Bilder in öffentlichen und privaten Sammlungen. Auch in Deutschland sind viele seiner Werke – vor allem die der 1960’er Jahre – in öffentlichem und Privatbesitz. Ihm wurde internationale Anerkennung zuteil, indem ihm 1967 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1969 eine Goldmedaille in New York und 1972 eine Goldmedaille in Rom verliehen wurden. Doch aufgrund der NS-Zeit und Könekamps Exil in entscheidenden Jahren seiner künstlerischen Entwicklung, ist sein malerisches Oeuvre in seinem Heimatland noch nicht einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Das Könekamp Archiv möchte mit dieser website einen Überblick über die Kunst von Friedrich Könekamp verschaffen und bewirken, dass diesem außergewöhnlichen, zur modernen deutschen Kunstgeschichte zählenden, Maler die gebührende Anerkennung zuteil wird.



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